Mögliche Entnahmeraten des Portfolios werden durch Renten und andere Kostenflüsse beeinflusst
Obwohl ich alles andere als ein Karnevalist bin, gibt es bei uns im Rheinland den Spruch “Jeder Jeck ist anders”. Bei der Berechnung von Entnahmeraten aus einem Portfolio gilt dies nochmal in besonderer Weise. Existieren neben dem Aktienportfolio z.B. auch noch staatliche Rentenansprüche, eine Kapital-Lebensversicherung oder Betriebsrenten, führt eine naive Anwendung der 4%-Regel typischerweise zu folgender Situation: In unserem “Trinity-Standardbeispiel” könnten wir damit aus unserem Portfolio von 480.000€ (relativ) sichere 1.600€ monatlich entnehmen. Diese 1.600€ sind zwar inflationsangepasst würden einem Privatier aber naturgemäß keine großen Sprünge mehr erlauben, zumal darauf natürlich auch Steuern und Sozialabgaben fällig werden. Unser “Spar-Privatier” entschliesst sich jetzt trotzdem dazu den Gürtel bis zur Rente enger zu schnallen und bereits mit 60 in den Ruhestand zu gehen, da er ab 65 auch noch Anspruch auf eine üppige Firmenrente in Höhe von 1.400€ hat. Zuguterletzt kommt dann ab 67 auch noch eine gesetzliche Rente in Höhe von, sagen wir, 1.800€ hinzu. Ab diesem Zeitpunkt belaufen sich seine Einnahmen plötzlich auf ca. 4.800€ brutto monatlich und nach den vergangenen 5-7 “frugalen” Jahren weiß unser “Spar-Privatier” plötzlich gar nicht mehr, was er jetzt mit dem vielen Geld machen soll. Hätte er die Entnahme aus seinem Depot nicht geschickter planen können um seinen Lebensstandard über die Jahre relativ konstant halten zu können?
Der Simulator berücksichtigt eine große Zahl von zusätzlichen “Cashflows”
Schauen wir uns jetzt im Simulator an, wie dies praktisch möglich ist. Wie üblich empfehle ich, den Simulator beim Lesen parallel in einem 2. Browser-Tab zu starten. um das Beispiel parallel “durchspielen” zu können. Bitte dazu das hier verlinkte Analyse-Beispiel lokal herunterladen und danach den Knopf “Analyse laden” drücken und die eben gespeicherte Datei dort auswählen. Jetzt sollten sich alle Eingabefelder gefüllt haben und nach dem Öffnen des Reiters “Eingabe Renten und zusätzliche Cashflows” sollten wir dort die folgenden Eingaben bereits sehen:
Eine gesetzliche Rente von 1.800€ erfordert aktuell ca. 50 Rentenpunkte, die wir somit in das Feld “Aktuelle Punkte” eintragen. Da der Ruhestand sofort beginnt, kommen bis dahin keine weiteren Punkte jährlich mehr hinzu, sodass das Feld “+Punkte/Jahr bis FI” leer bleibt. Unser “Beispiel-Privatier” ist gerade im Juni 2022 60 geworden, könnte also ab Juli 2029 die volle Rente mit 67 erhalten. Wir tragen als Start daher 2029-07 ein in genau diesem Format. (An dieser Stelle eine Warnung: Der Simulator führt keine großartige Verprobung der Eingaben durch, d.h. wer dort “Lieselotte” eintragen möchte kann dies tun und der Simulator wird keine Fehlermeldung auswerfen. Die Berechnung später wird aber nicht funktionieren.). Das letzte Feld setzen wir auf “67 (-0,0%)”, da die gesetzliche Rente in dem Beispiel ohne Abzüge mit 67 starten soll. Darunter ist der ab Juli 2022 gültige Wert eines Rentenpunktes von 36,02€ in den alten Bundesländern bereits vorgegeben. Wer die gleiche Rechnung für die neuen Bundesländer durchführen möchte, trägt dort bitte 35,52€ ein. Im Beispiel lassen wir den Wert aber unverändert.
Im Gegensatz zu allen anderen Eingabefeldern werden die Eingaben in diesem “Cashflows”-Reiter erst dann verarbeitet, wenn unten der Knopf “Cashflows und Renten verarbeiten” gedrückt wird. Andernfalls würde jede einzelne Feldänderung eine sinnlose Berechnung auf dem Server triggern und unnötig Kapazität kosten. Bevor wir diesen Knopf drücken, wollen wir aber das Beispiel abschließen und dort auch die Betriebsrente erfassen. Dazu dient die Tabelle unterhalb der Rentenzeilen, die bereits den entsprechenden Eintrag enthält: Wir bezeichnen diesen Cashflow im ersten Feld als “Betriebsrente” und setzen als Startmonat 2027-07, da diese ja ab dem angenommenen Alter von 65 auszahlt. Das Feld Endmonat bleibt leer, in diesem Fall rechnet der Simulator immer bis zum Ende des Simulationszeitraums (Kleiner Exkurs: Sollen Cashflows sofort starten aber nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt laufen darf analog der Startmonat leer bleiben und es muss nur der Endmonat eingetragen werden). Monatlicher Betrag soll, gemäß Beispiel, 1.400€ sein. Normalerweise müssen Betriebsrenten eine jährliche Anpassung von z.B. 1% leisten, diese könnten wir dann im nächsten Feld eintragen. In unserem vereinfachten Beispiel lassen wir das Feld aber leer. Last but not least könnten wir im letzten Feld angeben, dass der Cashflow zusätzlich der Inflation angepasst wird. Bei Betriebsrenten ist dies seltener der Fall, daher lassen wir das Feld in diesem Beispiel ebenfalls leer.
Um diese Eingaben zu verarbeiten müssten wir normalerweise jetzt den Knopf “Alle Cashflows und Renten verarbeiten” drücken. Da wir das Beispiel geladen haben, ist das aber schon automatisch passiert (ein nochmaliges Drücken schadet aber nicht). Damit erscheint jetzt die folgende Übersicht der Ein- und Ausgaben sowie der zeitlichen Entwicklung, wie üblich dort mit dem in dunkelblau eingezeichneten “Worst-Case” aller möglichen historischen Verläufe:
Auf dem Überblick der Entnahmen, Eingaben und Ausgaben hat sich jetzt eine Menge getan. Alle zusätzlichen Kostenflüsse tauchen dort jeweils farblich separiert oben auf der Einnahmenseite auf. Man erkennt insbesondere, dass die Depotentnahmen (in blau) jetzt nur noch bis zum Jahr 2029 reichen, danach reichen die gesetzlichen Renten sowie die Betriebsrente komplett aus um die monatlichen Ausgaben von 1.600€ zu bestreiten. Nicht nur das, man erkennt auch, dass die Einnahmen bereits ab dem Jahr 2029 die Ausgaben (wie üblich unten in rot dargestellt) deutlich übersteigen. Somit wird ab diesem Zeitpunkt aus dem Depot nichts mehr entnommen und es fliesst stattdessen monatlich Geld in das Depot (Zur Erinnerung: Der Simulator operiert aktuell intern mit einer 100% Aktienquote, d.h. geht davon aus, dass wir zu jedem Zeitpunkt immer voll in den Aktienmarkt investiert sind. Einzige Ausnahme sind die sog. Cash-Glidepath Rechnungen im 3. Reiter, die aber erst zu einem späteren Zeitpunkt erläutert werden). Dies bedeutet weiterhin, dass das Depot ab diesem Zeitpunkt munter mit dem Aktienmarkt wächst und wir sehen dies am Verlauf der Depot-Entwicklung selbst im dargestellten Worst-Case. Schauen wir uns den Endstand des Depots im Worst-Case an, dann sehen wir dass dieser bei über 1.5M€ finalem Depot-Wert liegt.
Natürlich suggeriert diese Darstellung aber, dass unser “Spar-Privatier” seinen frugalen Lebensstil der ersten 5-7 Ruhestandsjahre auch nach dem Start der gesetzlichen Rente und der Betriebsrente beibehält, genau das war aber natürlich nicht der Plan. Vielmehr wollten wir ja über den Simulator optimale Entnahmeraten berechen, die die zusätzlichen späteren Cashflows berücksichtigen und schon eine frühere Entnahme höherer monatlicher Beträge erlauben. Wir könnten jetzt solche höheren Entnahmeraten testweise in das Feld “Ausgaben ab FI” eintragen und uns so an das Optimum herantasten. Viel einfacher geht es aber, wenn wir uns direkt auf dem 2. Reiter die exakt berechneten Entnahmeraten ansehen. Alle Cashflow-Eingaben werden dort automatisch berücksichtigt und wir sollten dort direkt folgendes Bild sehen:
Die sichere Entnahmerate mit 0% Pleite-Wahrscheinlichkeit liegt jetzt bei 3.121€ pro Monat gegenüber den ursprünglichen 1.600€ pro Monat. Wenn wir uns ein kleines Restrisiko von 2.5% (analog zur ursprünglichen 4%-Regel) erlauben wollen, dürften wir sogar 3.362€ pro Monat bis zum Ende des Simulationszeitraums von 30 Jahren entnehmen und hätten somit unser Ziel einer besseren Planung der Entnahmen erreicht, vor allem weil diese Entnahmen gemäß der Standard-Einstellung auch inflationsgesichert sind, d.h. mit der Inflation wachsen, wie man auch an der Ausgaben-Übersicht erkennt. Die mittlere Spalte in der Tabelle rechnet die absoluten Entnahmeraten in jährliche prozentuale Entnahmenraten mit Bezug zum Startwert des Portfolios um. Man erkennt, dass durch die zusätzlichen Cashflows damit natürlich plötzlich deutlich höhere prozentuale Entnahmeraten möglich sind.
An dieser Stelle bietet sich ein weiterer wichtiger Hinweis an: Der Simulator nimmt an, dass die deutschen gesetzlichen Renten mit der Inflation wachsen, dies erkennt man auch gut am zeitlichen Verlauf der grünen Blöcke in der Übersicht. Dies ist selbstverständlich lediglich eine Annahme und man könnte hier durchaus optimistischere oder pessimistischere Annahmen treffen. Da aktuell die deutsche Rente noch vollständig umlagenbasiert ist und sich an der Entwicklung der Löhne orientieren soll ist ein Bezug zur Inflation aber aus meiner Sicht sinnvoll. Ggfls. baue ich später noch einen “Korrekturfaktor” ein, der es erlaubt hier noch nach eigenem Gusto zu adjustieren. Wenn man dies im Hinterkopf behält sieht man in der Übersicht der Einnahmen und Ausgaben (im 1. Reiter) noch einen weiteren, interessanten Effekt: Aufgrund der Inflationsanspassung wird der relative Anteil der gesetzlichen Rente an den Einnahmen gegenüber der Betriebsrente (die im Beispiel nominal konstant bleibt) deutlich höher über die Zeit. Dieser Effekt wird umso sichtbarer je länger der Simulationszeitraum ist.
Zum Abschluss tragen wir jetzt die o.g. sichere Entnahmerate von 3.121€ pro Monat wieder in das Feld “Ausgaben ab FI” ein und schauen uns die Gesamtsituation damit erneut an:
Im Worst-Case landen wir jetzt am Ende des Simulationszeitraums wie gewünscht bei 0. Wir sehen in der Übersicht der Entnahmen, Einnahmen und Ausgaben, dass wir mit dieser Entnahmerate jetzt tatsächlich ein Optimum erreicht haben. Die Depot-Entnahmen (in blau) dienen anfangs alleine zur Bestreitung der monatlichen Ausgaben, danach starten sukzsessive die Betriebsrente sowie die gesetzliche Rente, sodass die Depot-Entnahmen entsprechend kleiner werden dürfen. In Summe nutzen wir unser Aktien-Portfolio damit bis zum Ende des Simulationszeitraums besser und gleichmäßiger aus und genau das wollten wir ja erreichen.