Virtuelle Fallstudie: Ana
Mit diesem Artikel möchte ich eine halbwegs regelmäßige Reihe von virtuellen Fallstudien starten um die Bedienung des Simulators an konkreten Beispielen zu verdeutlichen. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen wäre wirklich zufällig, mir geht es vor allem darum, jeweils eine bestimmte Fragestellung oder ein bestimmtes Phänomen möglicht plastisch zu verdeutlichen.
Wir starten daher heute mit Ana. Ana ist gerade 25 Jahre alt geworden und hat vor einigen Wochen erfolgreich ihr Studium beendet. Sie fängt jetzt ihren ersten “richtigen” Job als Projektleiterin in einem großen Konzern an. Ana macht sich aufgrund des “wackeligen” Rentensystems zurecht Gedanken, wie sie vernünftig für die Zukunft vorsorgen soll und möchte daher von Anfang an, einen Teil ihres Gehalts in einen breit diversifizierten Aktien-ETF investieren. Von ihrem, bereits recht ordentlichen, Anfangsgehalt möchte sie daher jeweils 500€ monatlich als Sparplan automatisch investieren und richtet dafür ein passendes Depot und einen Sparplan ein. Obwohl Ana gerade erst ganz am Anfang ihrer Karriere steht, interessiert sie sich für das Thema FIRE und würde gerne besser verstehen, ob sie mit ihrem Ansatz tatsächlich Chancen hat, vor Beginn des “normalen” Rentenalters 67 aus dem Berufsleben auszusteigen oder ob das alles nur eine ferne Utopie ist.
Ana nutzt dazu den Simulator auf Predict-FI.com und möchte der Sache auf den Grund gehen. Wie üblich würde ich jetzt allen Lesern empfehlen, den Simulator in einem neuen Browser-Tab zu öffnen und den Fall einfach einmal parallel “durchzuspielen”. Wer direkt mit der fertigen Analyse starten möchte, findet ganz unten auch den Link zur entsprechenden Beispieldatei, die einfach per “Analyse laden” gestartet werden kann
Anas Depot ist aktuell leider noch komplett leer bislang war sie ja schon froh, ihr Studium gerade so finanziert zu bekommen. Die 480.000€ aus dem Trinity-Startbeispiel müssen also leider erst mal gelöscht und durch eine 0 ersetzt werden. Die monatliche Sparrate soll, wie anfangs beschrieben, 500€ betragen. Die trägt Ana somit in das Feld “Sparrate bis FI” ein. Daneben kann eine prozentuale Dynamik eingetragen werden. Ana ist durchaus ehrgeizig und möchte in Zukunft noch einige Schritte auf ihrer Karriereleiter gehen. Sie erwartet daher also entsprechende Gehaltssteigerungen, die sie auch nutzen möchte um ihre Sparrate stetig zu erhöhen. Sie setzt dazu vorsichtig erst einmal eine Steigerung von 2% pro Jahr an und trägt dies ebenfalls ein. Die Felder “Ausgaben ab FI” sowie “Kapitalerhalt” lässt sie erst einmal unverändert.
Die Simulation soll im Juli 2022 starten, das Feld bleibt daher ebenfalls unverändert. Beim Eingabefeld “Zeitraum über” gerät sie aber ins Grübeln. Die mittlere Lebenserwartung steigt aufgrund der medizinischen Fortschritte ja kontinuierlich und nach kurzer Google-Recherche findet Ana heraus, dass Frauen, die wie sie im Jahr 1997 geboren sind, rein statistisch eine Lebenserwartung von knapp 95 Jahren haben. Ana entscheidet sich daher, den Zeitraum auf 95 minus ihr aktuelles Alter also 70 Jahre zu setzen.
Ein Blick nach unten zeigt in der Worst-Case Darstellung jetzt einen furchterregenden Depot-Verlauf aber Ana hat den wichtigsten Regler für Ihre Fragestellung noch gar nicht gesetzt. Sie plant ja nicht, mit ihrem noch leeren Depot heute in den Ruhestand zu gehen, sondern möchte wissen, wie die Situation aussieht, wenn sie z.B. mit 50 anfängt, über FIRE nachzudenken. Dazu setzt sie jetzt den “FI Zeitpunkt” auf Juli 2047, also 25 Jahre in die Zukunft bis zu ihrem 50. Lebensjahr. D.h. sie plant die nächsten 25 Jahre konsequent ihren Sparplan weiterlaufen zu lassen und hofft darauf, dass der Aktienmarkt weiter im Schnitt eine Rendite von ca. 6% pro Jahr nach Abzug der Inflation abwirft. Mit einem Anlagehorizont von 25 Jahren sollte sie über Schwankungen in der Börse auch locker hinwegsehen können. Kurseinbrüche würden Ana in dieser frühen Phase sogar in die Karten spielen, weil sie dann aufgrund des sog. Cost-Averaging Effects ja für ihre 500€ monatlich sogar jeweils mehr Anteile ihres ETFs erwerben kann. Ihre Eingaben sehen jetzt wie folgt aus:
Schauen wir uns jetzt die sich daraus ergebende Situation an:
Beginnen wir mit der Übersicht der Entnahmen, Einnahmen und Ausgaben: Wir sehen dort jetzt zum ersten Mal die monatlichen Sparraten grün eingezeichnet, die bis in den Juni 2047 laufen. Ab Juli 2047 fangen die monatlichen Ausgaben (im Standardfall noch bei 1.600€ belassen) an, die ab dann vollständig durch Entnahmen aus Anas Aktiendepot getätigt werden. Das Ergebnis sieht auf den ersten Blick noch relativ ernüchternd aus: Im Worst-Case Szenario sorgt die Inflation dafür, dass in 2047 statt der ursprünglich 1.600€ jetzt nominal fast 4.500€ pro Monat nötig sind, wenn man die heutige Kaufkraft der 1.600€ erhalten möchte. Anas Depot liegt in diesem Szenario im Juli 2047 bei immerhin 448.289€, d.h. auch in dieser schlechtesten aller Möglichkeiten wäre Ana zum Zeitpunkt ihres 50. Geburtstags zumindest fast eine halbe Millionärin. Aber leider reicht dieses Depot nicht, um Ana tatsächlich bis zu ihrem 95. Geburstag inflationsgesicherte 1.600€ monatlich zu ermöglichen, vielmehr wäre sie im schlimmsten Fall ab dem November 2062 pleite.
Schaut man sich den Verlauf des Medians über alle Historien an sieht man aber, dass der am Ende sogar immer noch positiv ist, d.h. es besteht eine Wahrscheinlichkeit von über 50%, dass Ana zu ihrem 50. Geburtstag aus dem Berufsleben aussteigen könnte und trotzdem bis zu ihrem statistischen Lebensende von 95 Jahren die 1.600€ entnehmen könnte. Wohlgemerkt, ohne das wir sonstige Einkünfte wie Renten o.ä. berücksichtigt haben.
Jetzt können wir aber einige Szenarien durchspielen. Was wäre, wenn Ana statt bis 50 noch bis 55 arbeiten würde? Dazu setzt sie den FI Zeitpunkt auf den Juli 2052. Die Ergebnisse werden für alle Historien sofort aktualisiert und wir erhalten jetzt bereits ein völlig anderes Bild:
Die möglichen Depot-Endstände verlaufen jetzt alle vollständig oberhalb der Null-Linie, d.h. alle historischen Szenarien würden am Ende im Plus landen. Selbst der Worst-Case läge am Ende gar bei einem Depot-Endwert von über 3 M€! Darüber würden sich Anas Erben sicherlich sehr freuen, wir gestehen Ana aber zu, zunächst einmal ihre eigene Situation zu optimieren. D.h. Ana schaut sich jetzt auf dem 2. Reiter die zugehörigen exakt berechneten Entnahmeraten an:
Ana könnte mit einer Pleitewahrscheinlichkeit 0% monatlich 1.974€ entnehmen. Diese tragen wir jetzt wieder in das Feld “Ausgaben ab FI ein” ein und sehen folgende Übersicht:
Wir fassen diesen Zwischenstand einmal kurz zusammen: Ana fängt im Alter von 25 Jahren an, monatlich 500€ in einen breiten diversifizierten Aktien-ETF zu investieren. Im Alter von 55 würde Ana mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit damit in der Lage sein, aus dem Berufsleben auszusteigen, da sie monatlich fast 2000€ rein aus dem Aktiendepot inflationsgesichert bis an ihr Lebensende entnehmen kann.
Wir haben aber noch einen Aspekt weggelassen, der das Bild noch einmal deutlich verbessert. Ana wird in ihrem Berufsleben bis 55 ja monatlich Einträge in die Rentenkasse vorgenommen haben. Die daraus resultierenden Rentenpunkte im deutschen System werden aus den Durchschnittsgehältern ermittelt, d.h. sollte Ana genau den Durchnittsverdienst erhalten, würde sie pro Jahr exakt einen Rentenpunkt gutgeschrieben bekommen. Als Projektleiterin sollte Ana eigentlich überdurchschnittlich verdienen, für diese Fallstudie gehen wir daher von 1.5 Rentenpunkten aus, die Ana jedes Jahr gutgeschrieben bekommt. Wir tragen dies in den horizontalen Reiter “Eingabe Renten und zusätzliche Cashflows” ein, den wir dafür aufklappen. (Details zu diesem Reiter gibt es auch in dem folgenden Artikel: FI Simulator 3 - Zusätzliche Cashflows). Wir nehmen dort die folgenden Einnahmen vor, da Ana aktuell noch keine Rentenpunkte hat und mit 67, somit ab Juli 2064, die ungekürzte Rente erhalten wird:
Nach einem Druck auf “Cashflows und Renten verarbeiten” ändert sich das Bild noch einmal deutlich:
Man erkennt, dass ab dem Rentenbeginn ein Großteil der Ausgaben durch die Rente bestritten werden und die Entnahmen aus dem Portfolio somit deutlich kleiner werden können. Dies führt dazu, dass selbst im Worst-Case das Depot am Ende noch bei 3.5M€ liegt. Wir können daher nach einem erneuten Blick auf die exakt berechneten Entnahmeraten im 2. Reiter sehen, dass Ana statt 1.974€ durch die späteren Renten sogar 2.563€ ab 55 monatlich entnehmen kann. Wir tragen dies zum Abschluss wieder in die Übersicht ein und erhalten den vorläufigen Abschluss unserer Analyse:
Selbst im schlechtesten aller Fälle könnte Ana daher ab 55 noch relativ komfortabel über FIRE nachdenken. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird sich Ana aber sogar in einer der besseren Möglichkeiten wiederfinden. Nach dieser Analyse ist Ana auf jeden Fall sicher, den Sparplan zu starten, wie sie sich vorgenommen hat. Ob sie dann tatsächlich mit 50 oder 55 über einen Ausstieg aus dem Berufsleben nachdenkt weiss sie heute natürlich noch nicht. Mit dem frühen Start des Sparplans mit 25 hat sie aber die Basis gelegt, überhaupt später über solche Szenarien nachdenken zu können. Sie wird damit jedenfalls nicht gezwungen sein, bis zum Start der gesetzlichen Rente mit 67 arbeiten zu müssen sondern wird aller Voraussicht nach die finanzielle Freiheit haben um über andere Alternativen, wie auch immer diese aussehen, nachdenken zu können.
Die finale Analyse kann zum “Nachspielen” hier herunter geladen werden. Wer den Blog gerne abbonieren und über neue Artikel informiert werden möchte, nutzt dafür am besten einen beliebigen RSS Reader und das RSS-Symbol in der Navigationsleiste oder direkt diesen link.