Virtuelle Fallstudie: Ben
Heute möchte ich in einer weiteren virtuellen Fallstudie ein paar Tücken aufzeigen, die bei der Berechnung von Entnahmestrategien auftauchen können, wenn in Zukunft hohe Einnahmen zu erwarten sind. Wie üblich empfehle ich, den Fall parallel am Simulator durchzuspielen. Wer das vollständige Beispiel direkt in den Simulator laden möchte, findet den Link am Ende dieses Artikels.
Ben ist in diesem Jahr 55 Jahre alt geworden und trägt sich seit einiger Zeit mit dem Gedanken, in den Ruhestand zu gehen. Er hat in seinem Berufsleben bereits ein schönes Aktienportfolio angespart, das aktuell 500.000€ Wert ist, und außerdem Anspruch auf eine gesetzliche Rente. Noch viel wichtiger ist aber eine hohe Lebensversicherung, die ihm zu seinem 65. Geburtstag im Januar 2032 eine Auszahlung von einer runden Million € bringen wird. Ben möchte jetzt ganz konkret berechnen, welches Ausgabenniveau ihm diese Konstellation ermöglicht, wenn er bereits jetzt in den Ruhestand geht. Als Simulationszeitraum wählt Ben 45 Jahre um auch das Langlebigkeitsrisiko abzudecken, d.h. der Simulator berechnet dann monatliche Ausgaben, die theoretisch bis zu seinem 100. Geburtstag reichen würden.
Ben nimmt daher folgende Eingaben im Simulator vor:
Die Prognose der Depot-Entwicklung sieht auf den ersten Blick schon einmal ermutigend aus:
Die Ein- und Ausgabenübersicht wird natürlich dominiert von der Auszahlung der Lebensversicherung in 10 Jahren. Die standardmäßig eingetragenen 1.600€ Ausgaben pro Monat würden ab 2034 bereits voll durch seine gesetzliche Rente abgedeckt und man erkennt, dass sein Depot in allen historischen Verläufen stark wachsen würde. Hier ist also offenbar großes Potential vorhanden, das monatliche Ausgabenniveau noch deutlich zu erhöhen. Dazu schauen wir uns jetzt im 2. Reiter die exakt berechneten Entnahmeraten an:
Ben könnte demnach ab sofort inflationsgesicherte 2549,16 pro Monat aus seinem Depot entnehmen und würde nach allen historischen Marktverläufen nicht Gefahr laufen, vorzeitig Pleite zu gehen. Trotzdem ist Ben etwas enttäuscht. Er hatte eigentlich erwartet, dass ihm die hohe Auszahlung seiner Lebensversicherung im Jahr 2032 noch eine deutlich höhere Entnahmerate ermöglicht. Was ist hier passiert? Tragen wir die 2549,16€ einmal als “Ausgaben ab FI” ein und schauen uns die Prognose der Depot-Entwicklung damit etwas genauer an:
Selbst im dargestellten Worst-Case würde Ben also am Ende des Simulationszeitraums noch 7.3M€ im Depot haben. Die berechnete Entnahmerate sollte im Worst-Case aber eigentlich genau dafür sorgen, dass das Depot komplett entspart wird, am Ende des Zeitraums also genau bei Null landet. Verschenkt Ben hier also immer noch Potential?
Die Lösung steckt in dem Schalter “Keine negativen Depot-Zwischenstände”, der standardmäßig immer gesetzt ist. Gehen wir also noch einmal in die Berechnung der Entnahmeraten und nehmen diesen Schalter heraus dann ändern sich die berechneten Werte sofort drastisch:
Plötzlich soll also ohne Pleiterisiko sogar die Entnahme von 4252,37€ pro Monat möglich sein? Das wäre natürlich viel eher nach dem Geschmack von Ben. Es gibt allerdings einen Haken. Den sehen wir, wenn wir diese 4252,37€ jetzt wieder als “Ausgaben ab FI” eintragen und uns den Depot-Verlauf ansehen: Jetzt endet der Worst-Case im Jahre 2067 tatsächlich bei Null, die Tücke liegt aber im Depot-Verlauf kurz vor der Auszahlung der Lebensversicherung 2032. Wir zoomen dazu einmal in diesen Bereich:
Man erkennt dort sehr schön, die Auszahlung der Lebensversicherung im Januar 2032, die natürlich in allen historischen Depot-Verläufen für einen entsprechenden Sprung nach oben sorgt. Im Worst-Case ist das Depot bis zur Auszahlung hier aber negativ, d.h. in dieser Phase müsste Ben sein Depot nicht nur zwischenzeitlich komplett verkaufen, sondern er müsste sich zusätzlich Geld von der Depot-führenden Bank leihen und zwar rein rechnerisch zu dem Zins, der der momentaten Rendite des Aktienmarkts entspricht. Das klingt natürlich ein wenig krude und ist einfach darauf zurückzuführen, wie diese Entnahmeraten mathematisch korrekt berechnet werden.
Ben steht hier also gewissermaßen vor einem Dilemma: Nimmt er die höhere Entnahmerate, müsste er sich zwischenzeitlich Geld leihen, würde dann sein Depot aber komplett entsparen können und hätte seinen Lebensstandard optimiert. Wählt er die niedrigere Entnahmerate ist sichergestellt, dass sein Depot zwischenzeitlich niemals negativ wird. Er wird aber sein Depot damit nicht vollständig entsparen und lebt gefühlt im Ruhestand sparsamer als eigentlich notwendig.
Eine einfache Lösung für dieses Problem gibt es leider nicht und Ben muss für sich einen Kompromiss zwischen diesen beiden Möglichkeiten finden. Für alle Leser sollte zumindest im Hinterkopf bleiben, dass es den Schalter “Keine negativen Depot-Zwischenstände” überhaupt gibt. In den meisten Fällen wird er keine Unterschiede der Entnahmeraten zeigen. Falls aber hohe Auszahlungen in der Zukunft erwartet werden, lohnt es sich diesen Schalter einmal bewusst zu betätigen und zu prüfen ob es Unterschiede gibt. Wichtig ist auch, dass alle mir bekannten, öffentlich zugänglichen FI-Rechner diese Möglichkeit nicht haben und immer die höhere Entnahmerate zeigen. Wenn man den hier gezeigten Effekt nicht kennt, kann deren Nutzung daher ins Auge gehen.
Wer das Beispiel direkt nachvollziehen möchte findet hier die entsprechende json-Datei dafür. Wer den Blog gerne abbonieren und über neue Artikel informiert werden möchte, nutzt dafür am besten einen beliebigen RSS Reader und das RSS-Symbol in der Navigationsleiste oder direkt diesen link.