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Hyperinflation 1923 - Finanzielle Unabhängigkeit und Schwarze Schwäne

Die deutsche Hyperinflation ereignete sich vor genau 100 Jahren. Kein anderes Ereignis hat wohl das Verhältnis der deutschen Gesellschaft zum Geld so nachhaltig geprägt, wie dieses Jahrhundertereignis. In diesem Artikel möchte ich daher die Auswirkungen solcher “Schwarzer Schwäne” auf unsere Rechnungen zur finanziellen Freiheit genauer untersuchen. Der Artikel ist etwas länger und setzt die Kenntnis der Grundfunktionen des Simulators voraus. Bitte also im Zweifelsfall parallel auch noch einmal einen Blick auf die Artikel in der Dokumentation werfen.

Daten nur vom amerikanischen Aktienmarkt sind nicht repräsentativ

Die meisten Untersuchungen zur finanziellen Unabhängigkeit und alle mir bekannten öffentlich zugänglichen FI-Rechner nutzen für die Berechnung von Entnahmeraten die Daten vom amerikanischen Aktien- und Anleihenmarkt (oder decken mangels verfügbarer anderer Daten nur einen relativ kurzen Zeitraum bis maximal 1970 zurück ab). Aus meiner Sicht führt dies aber zu einem klassischen Easy-Data Bias: Die US-Daten sind kostenfrei verfügbar und decken einen Zeitraum von über 150 Jahren ab. Dieser lange Zeitraum suggeriert, dass die darin enthaltenen Extremereignisse wie die beiden Weltkriege, die Weltwirtschaftskrise und die Stagflation-Periode der 1970er Jahre eine ausreichende Basis für Risikoabschätzungen darstellen können. Ich zitiere dazu bewusst meinen eigenen Grundlagenartikel zum FI-Simulator: “Grundannahme dieses Simulators ist, dass damit bereits ein sehr großes Spektrum an möglichen Extremsituationen abgedeckt ist und wir davon ausgehen, dass die tatsächliche zukünftige Entwicklung unseres Portfolios mit recht hoher Wahrscheinlichkeit irgendwo zwischen den Extremen liegen wird”. Wie wir aber bereits in dem Blog-Artikel zur Einführung der historischen deutschen Aktienkurse und Inflationsdaten gesehen haben, liegen die sicheren Entnahmeraten für einen deutschen Investor, der ausschließlich in deutschen Aktien investiert und deutschen Inflationsraten ausgesetzt war, deutlich unterhalb der vergleichbaren Ergebnisse für einen US-Investor. Die Ergebnisse für Deutschland sind deswegen interessant, weil Deutschland aufgrund der beiden verlorenen Weltkriege und eben der Hyperinflation von 1923 als Paradebeispiel dienen kann, wie sich schwarze Schwäne auf sichere Entnahmeraten auswirken können (als schwarzen Schwan bezeichne ich hier in Anlehnung an das bekannte Buch von Nassim Taleb unerwartete Extremereignisse, die weit außerhalb des bis dahin vorliegenden Erfahrungshorizonts liegen). Ein systematischer Vergleich der Ergebnisse eines US-Investors mit einem deutschen Investor sollte daher eine deutlich bessere Abschätzung von Risiken erlauben als der alleinige Blick auf den US-Markt.

Im September letzten Jahres wurde von einer Gruppe um Scott Cederburg ein Paper veröffentlicht, das in eine ähnliche Richtung geht und sichere Entnahmeraten für eine Vielzahl von anderen Ländern berechnet hat. Die Gruppe nutzt dafür kommerzielle Daten von globalfinancialdata.com und kommt damit ebenfalls zu deutlich schlechteren Ergebnissen als mit den reinen US Daten: Anstelle der beliebten 4% Regel kommt dieses Paper zu dem Schluss, dass eher eine 2% Regel angewendet werden sollte, wenn man Risiken lokaler Aktienmärkte ebenfalls abfedern möchte und sich nicht darauf verlassen möchte, dass sich das eigene Portfolio weiterhin so entwickelt wie der historisch sehr gut performende US-Markt. Wie nicht anders zu erwarten, hat dieses Paper lebhafte Diskussionen ausgelöst (z.B. hier) weil damit natürlich ganz andere Portfolio-Größen angespart werden müssten, bevor die finanzielle Freiheit erreicht ist.

Wie man schwarze Schwäne grau lackiert

Da wir leider nicht ausschließen können, dass uns in Zukunft weitere schwarze Schwäne drohen, möchte ich in diesem Artikel den Versuch wagen, die Auswirkungen zumindest der bisher bekannten Extremereignisse etwas besser zu verstehen und idealerweise durch eine geeignete Optimierung des Portfolios sogar etwas abzumildern. In diesem Sinne wären die Schwäne dann nicht mehr ganz so schwarz sondern hoffentlich nur noch grau.

Eine Hauptkritik am Cederburg Paper war beispielsweise, dass die Gruppe primär Investoren untersucht hat, die lediglich im jeweiligen Heimatmarkt investiert waren. Auch mein Blog-Artikel zur Einführung der deutschen Aktiendaten beschreibt letztlich einen deutschen Investor, der vollständig nur im deutschen Aktienmarkt investiert war. Hätte dieser Investor nicht vielleicht bessere Ergebnisse erzielt, wenn er auch amerikanische Aktien gehalten hätte? Und da wir heute sogar kostengünstig in globale Aktien-ETFs investieren können, sollte eine globale Diversifikation doch genau solche Risiken abmildern, oder?

Darüberhinaus haben wir seit der Version 0.3 des Simulators ja die Möglichkeit, systematisch unterschiedliche Asset-Allokationen zu untersuchen und z.B. Anleihen als Beimischung zur Reduzierung der Volatilität des Portfolios zu untersuchen. Könnte eine solche Beimischung auch helfen, Extremereignisse wie die Hyperinflation oder die Auswirkungen der verlorenen Weltkriege rechnerisch abzumildern?

Mangels Zugriff auf die kommerziellen Marktdaten des Cederburg Papers müssen wir uns dabei auf die im Simulator verfügbaren Daten des amerikanischen und deutschen Aktien- und Anleihenmarktes beschränken. Allerdings decken die Historien beider Länder, wie oben bereits erwähnt, ein deutlich breiteres Spektrum an Extremereignissen ab als der US-Markt alleine. Schauen wir uns also im Folgenden verschiedene Beispielszenarien mit diesen verfügbaren Daten etwas genauer an:

1. Fall: Deutscher Investor, der 100% im deutschen Aktien- und Anleihemarkt investiert ist

Für ein reines Aktienportfolio entspricht dieser Fall den Ergebnissen, die ich bereits in meinem Blogbeitrag zu integration der deutschen Aktien- und Inflationsdaten vorgestellt habe. Wichtig ist zunächst, dass wir im Reiter “Einstellungen Asset-Allokation, Kurs- und Inflationsdaten” die Heimatwährung auf “DE Euro” und die Heimatinflation auf “DE” setzen. Damit wird sichergestellt, dass wir die Inflationsdaten nutzen, die für die Lebenshaltungskosten in Deutschland anfallen und auch alle Wertpapierwährungen jeweils korrekt in EUR umgerechnet werden. Da wir hier auch Zeiträume betrachten, die weit vor der Einführung des Euro liegen, ist es wichtig, dessen deutsche Vorgängerwährungen ebenfalls zu berücksichtigen. In Deutschland waren das bis zur Hyperinflation 1923 die Papiermark, bis 1948 die Reichsmark und danach die D-Mark. Diese Vorgängerwährungen werden bei der Auswahl von “DE Euro” automatisch mit übernommen. Außerdem ändern wir die Asset-Allokation, die im Standard immer auf 100% US-Aktien gesetzt ist, ab und setzen sie auf 100% DE-Aktien. Die anderen Einstellungen lassen wir unverändert und erhalten somit folgendes Bild:

Schauen wir uns jetzt die exakt berechneten Entnahmeraten dazu an sehen wir das bereits aus dem alten Blogbeitrag bekannte trübe Ergebnis:

An Stelle der “üblichen” sicheren Entnahmerate von ca. 1200€ für unser 480.000€ Portfolio, die 3% entspricht und aus der alleinigen Verwendung der US-Daten resultiert, erhalten wir mit 100% deutschen Aktien lediglich eine sichere Entnahmerate von 519€ was nur 1,3% des Portfolio-Wertes entspricht. Akzeptiert man eine Pleitewahrscheinlichkeit von 2,5% erhöht sich diese Entnahmerate lediglich auf 599€ oder 1,5%. Diese Halbierung der Entnahmerate passt von der Größenordnung her auch zu den Ergebnissen des Cederburg Papers.

Schauen wir uns jetzt die mittlere Grafik etwas genauer an: Dort ist die Entnahmerate abhängig vom virtuellen Start-Datum der Kurshistorie aufgeführt und man erkennt, dass das Minimum der Entnahmerate aus dem Startdatum Feb. 2014, also kurz vor dem Ausbruch des 1. Weltkriegs, resultiert. Interessanterweise scheint die Hyperinflation 1923 bei einem 100% deutschen Aktienportfolio also gar nicht der dominierende Effekt zu sein. Dies liegt primär daran, dass Aktien als Sachwerte deutlich unabhängiger von der Inflation sind, als Anleihen oder gar Bankguthaben. Allerdings erkennt man bei einem Startdatum zwischen 1921 und 1923 auch die extremen Schwankungen der daraus resultierenden möglichen Entnahmeraten. Unbeinflusst von einem solchen Extremereignis sind also auch Aktien nicht.

Bis hierhin haben wir lediglich die Ergebnisse des älteren Blog-Artikels noch einmal reproduziert. Schauen wir uns jetzt aber an, wie sich eine unterschiedliche Asset-Allokation auf die Entnahmeraten auswirkt. Wir untersuchen zunächst eine mögliche Beimischung deutscher Anleihen. Dazu gehen wir auf den Reiter “Optimierung der Asset Allokation” und berechnen mögliche Portfolien zwischen den folgenden beiden “Extremportfolios”:

Die resultierende Grafik wird stark durch statistische Ausreißer nach oben dominiert. Um Diese auszublenden vergrößern wir mit der Maus einmal den Bereich der eigentlichen Boxplots und erhalten damit folgendes Bild:

Ich hätte vorher erwartet, dass eine Beimischung von deutschen Anleihen aufgrund von deren hohen realen Kursverlusten im Rahmen der Hyperinflation keinen positiven Effekt aufweist. Wir sehen allerdings, dass ein kleiner Anteil von 10% Anleihen immerhin zu einer kleinen Erhöhung der sicheren Entnahmerate von 519€ auf 535€ führt. Substantiell ändert das aber nichts an den schlechten Ergebnissen. Auffällig ist aber auch, dass die Entnahmerate des 1. Quantils (also der Wert, der nur von 25% der Datenpunkte unterschritten wird) bei einer Beimischung von 20% Anleihen von 1259€ auf 1647€ ansteigt (der Bereich zwischen dem 1. und 3. Quantil enthält die mittlerem 50% der Datenpunkte und entspricht jeweils dem “dicken” Teil des Boxplots). Für den mittleren Teil der historischen Verläufe führt eine solche Beimischung also sehr wohl zu einer Erhöhung der Entnahmerate. Die 25% schlechtesten Historien dürften im Wesentlichen von der Hyperinflation dominiert sein und in diesem Artikel wollten wir ja bewusst die Auswirkungen solcher Extremereignisse untersuchen und werden daher den unteren Teil des Boxplots hier nicht ignorieren. Schaut man sich den Datenpunkt ganz links an, der einem reinen Anleihenportfolio entspricht, sieht man gut wie heftig sich die Hyperinflation ausgewirkt hat: Mit einem reinen deutschen Anleihenportfolio von 480.000€ wäre lediglich eine sichere Entnahmerate von 87€ möglich gewesen.

Als Extrembeispiel lohnt sich ein Blick auf einen deutschen Investor, der einen Teil des Portfolios als Bargeld hält. Wir untersuchen also Portfolien zwischen den folgenden beiden Extremen. Portfolio A hat 0% Assets, d.h. 100% des Vermögens liegen als Bargeld oder Bankguthaben vor, das keinerlei Rendite abwirft:

Das resultierende Ergebnis zeigt, wie desaströs ein Bargeld-lastiges Portfolio im Zuge der Hyperinflation vernichtet worden wäre:

Die sichere Entnahmerate eines reinen Bargeldportfolios (der Datenpunkt ganz links) läge aufgrund der Hyperinflation ziemlich exakt bei 0,00€! Wir müssen hier also etwas resigniert festellen, dass die üblichen Mechanismen für eine Optimierung der Asset-Allokation mit Anleihen und Bargeld bei einem Extremereignis wie der Hyperinflation tatsächlich sinnlos sind und eher schaden als nützen. Allerdings entspricht dies auch der Erwartung, da Anleihen und vor allem Bargeld eben primär von einer Hyperinflation betroffen sind. Aktien als Sachwerte bringen einen offenbar noch vergleichsweise besser durch eine solche Phase. Ich vermute stark, dass auch Immobilien hier geholfen hätten, mangels brauchbarer Daten dazu, muss ich aber bei der reinen Hypothese hier bleiben.

Als letzte Übung in diesem Fall setzen wir jetzt im Reiter “Einstellungen Asset-Allokation, Kurs- und Inflationsdaten” die “Kurshistorie ab” auf 1924 und filtern damit den 1. Weltkrieg und die Hyperinflation aus den historischen Daten komplett raus. Alle historischen Kursverläufe starten somit frühestens 1924, also nach der Einführung der Rentenmark, die später Reichsmark genannt wurde. Unsere Entnahmeraten für unterschiedliche Asset-Allokationen zwischen 100% deutsche Anleihen und 100% deutsche Aktien sehen damit natürlich direkt deutlich gutmütiger aus und ähneln in ihrem Verhalten dem was man auch bei Verwendung rein amerikanischer Daten sieht:

Mit einer Beimischung von 15% Anleihen erhalten wir jetzt eine sichere Entnahmerate von 1115€, die jetzt zwar deutlich oberhalb der 519€ liegt, allerdings immer noch deutlich unter einer vergleichbaren Entnahmerate von ca. $1473, die mit rein amerikanischen Daten (und amerikanischen Inflationsraten) rechnerisch möglich wäre. Nichtsdestotrotz enthalten die zugrundeliegenden historischen Kursverläufe immer noch den verlorenen 2. Weltkrieg, der zu einer massiven Abwertung von Aktien- und Anleihenkursen (um ca. 90%) geführt hat. Vor diesem Hintergrund ist diese sichere Entnahmerate von 1115€ als Worst-Case aller historischen Verläufe immer noch überraschend hoch.

2. Fall: Deutscher Investor, der im amerikanischen Aktienmarkt investiert ist

Der jetzt folgende Fall ist etwas fiktiv, da in der Vergangenheit natürlich der freie Kauf und Verkauf von Devisen sowie von ausländischen Aktien nicht immer möglich war. Wenn wir für die Zukunft aber annehmen, dass dies jederzeit möglich ist, können wir untersuchen, wie sich ein Investor in Deutschland mit einem breiten amerikanischen Wertpapier-Portfolio geschlagen hätte. Dazu ändern wir die eigene Asset Allokation wieder auf den Standardfall von 100% US-Aktien, belassen aber Heimatwährung und Inflation auf “DE Euro” bzw. “DE”:

Das Ergebnis war für mich erst einmal überraschend:

Obwohl in US-Dollar notierte US-Aktien unabhängig von der Hyperinflation der deutschen Papiermark sein sollten, sehen wir eine sichere Entnahmerate von lediglich 623€ also nicht viel mehr als ein rein deutsches Aktienportfolio geliefert hätte. Schauen wir uns an, welche historische Kursentwicklung für dieses enttäuschende Ergebnis verantwortlich ist sehen wir als Startdatum der kritischen Kurshistorien genau den Bereich der Hyperinflation 1923, den ich hier noch einmal vergrößert zeige:

Mein erster Reflex als ich dieses für mich doch erst einmal kontra-intuitive Ergebnis gesehen habe, waren Zweifel an den zugrundeliegenden Daten, vor allem hinsichtlich der Wechselkurse Papiermark - US-Dollar aus der Zeit. Ich habe mir dann aus verschiedenen Quellen andere Wechselkurse besorgt, die auch gerade in der 2. Jahreshälfte 1923, also zum Höhepunkt der Hyperinflation teils abweichende Werte zeigten. Zu meinem Erstaunen waren die damit erzielten Entnahmeraten aber sogar noch etwas niedriger. Die hier im Simulator letztlich verwendeten Devisenkurse zwischen 1914 und Ende 1923 stammen von gesis.org und beruhen auf Monatsmittelwerten der Berliner Börse. Da auch die Inflationsdaten von G. Gielen aus der Zeit als Monatsmittelwert vorliegen, erwarte ich in dieser Kombination eigentlich den geringsten systematischen Fehler.

Etwas Licht ins Dunkel bringt die folgende Grafik, die inflationsbereinigte (auf Basis deutscher Inflationsdaten!) Renditen von US-Aktien und vom US-Dollar selbst in EUR (bzw. den entsprechend umgerechneten deutschen Vorgängerwährungen) auf Basis der im Simulator verwendeten Daten zeigt:

Man erkennt zunächst, dass der Wechselkurs des US-Dollars (in rot) logischerweise massiven Einfluss auf den Kursverlauf der US-Aktien in Euro (in blau) nimmt. Vor allem die folgenden Bereiche sind auffällig:

  1. Nach Ende des 1. Weltkriegs bis zum Ende der Hyperinflation Ende 1923 gab es eine temporäre und stark schwankende Abwertung der Papiermark gegenüber dem Dollar erkennbar an den relativ hohen Spitzen zu der Zeit.
  2. 1945 und 1948 sieht man dort sprunghafte Abwertungen der Reichsmark, die aber in diesem Fall reine Datenartefakte sind: Zwischen dem Ende des 2. Weltkriegs und der Einführung der D-Mark 1948 gab es überhaupt keine amtlichen Wechselkurse zwischen der Reichsmark und dem US-Dollar. Ich behelfe mir hier (wie auch andere Datenlieferanten) mit konstanten und leider artifiziellen Zwischenwerten um überhaupt Rechnungen solcher Art durchführen zu können.

Diese Wechselkurseffekte erklären jetzt aber einige der vorherigen Ergebnisse:

  1. Portfolien in US-Dollar, die genau zum Höhepunkt dieser temporären Papiermark-Abwertungen 1921-1923 gestartet wurden, erlitten nach Ende der Hyperinflation durch die danach erfolgte relative Aufwertung der deutschen Währung einen massiven Kursverlust. Die daraus resultierenden überraschend niedrigen Entnahmeraten sind somit der Ausdruck des damit eingetretenen Sequence-of-Return Risikos.
  2. Die artifiziellen Abwertungen 1945 und 1948 aufgrund fehlender Wechselkursdaten führen dagegen umgekehrt rechnerisch zu sehr hohen Kursgewinnen eines solchen US-Portfolios, was dann auch zu dem “Spike” der Entnahmeraten bis hin zu rechnerischen 30.000€ in diesem Zeitraum führt. Leider ist dies primär ein Datenartefakt, zeigt aber auch wie schwierig eine halbwegs saubere Analyse solcher Daten ist. Die US-Daten sind dagegen eben sehr gutmütig, Stichwort noch einmal: “Easy-Data-Bias”

Damit wieder zurück zur ursprünglichen Motivation für diesen Artikel: Der deutsche Investor, der die Auswirkungen der Hyperinflation irgendwie antizipiert hätte und als Gegenmaßnahme ein US-Portfolio aufbauen will, hätte zunächst nur wenig bessere Ergebnisse erzielt als der analoge Investor in deutschen Aktien. Wenn man aus dieser Situation irgendwelche Lehren ziehen möchte, dann würde mir nur einfallen, dass in solchen Phasen offenbar auch Wechselkurse zu irrationalen Übertreibungen neigen und man somit Gefahr läuft bei sehr ungünstigen Kursen einkaufen zu müssen. Dies spricht dafür, ein global diversifiziertes Portfolio eben früh genug aufzubauen, nämlich dann solange Wechselkurse noch in geregelten Bahnen verlaufen. Hätte man das US-Portfolio schon deutlich vor 1921 aufgebaut, hätte man mit diesem Portfolio Entnahmeraten von ca. 2000€ realisieren können, und (theoretisch) der Hyperinflation Herr werden können.

Als nächsten Schritt versucht unser Beispielinvestor aber noch eine weitere Risikominimierung durch eine Beimischung von deutschen Anleihen zu seinem Portfolio von US-Aktien. Vielleicht hilft diese Beimischung ja, die Volatilität zu senken und damit die mögliche Entnahmerate wieder zu erhöhen. Die beiden Extrempunkte der Asset-Allokation setzen wir daher wie folgt:

Das Ergebnis (nach leichtem Reinzoomen mit der Maus um wieder die statistischen Ausreißer nach oben auszublenden) sieht damit tatsächlich deutlich besser aus: Mit einer Beimischung von 30% deutschen Anleihen erreichen wir eine sichere Entnahmerate von 1316€. Das liegt zwar immer noch etwas unter dem optimalen Ergebnis mit reinen US-Daten ($1473 mit 25% US Anleihen) befindet sich aber schon in der gleichen Größenordnung. Anders als die Beimischung zu deutschen Aktien führt die Beimischung zu US Aktien offenbar zu einer deutlichen Reduzierung der Volatilität und somit zu einer starken Erhöhung der sicheren Entnahmerate. Dies ist insofern überraschend, da die deutschen Anleihen ja, wie bereits oben erwähnt, im Rahmen der Hyperinflation einen realen Wertverlust von ca. 90% erleiden mussten. Tragen wir diese offenbar optimale Asset-Allokation jetzt einmal in unser eigenes Portfolio ein:

Wir sehen, dass das Minimum der Entnahmeraten mit diesem Portfolio tatsächlich nicht mehr aus der Hyperinflation kommt sondern aus der Stagflation Phase der 1970er Jahre:

Der Vollständigkeit halber rechnen wir zum Abschluß dieses Falls auch noch eine Beimischung von US-Anleihen zu den US-Aktien für einen deutschen Investor. Eigentlich besagt ja die Regel, dass man Anleihen tunlichst in der Heimatwährung erwerben sollte um sich keinem zusätzlichen Währungsrisiko auszusetzen. Captain Hindsight sieht das natürlich anders, weil er weiss, dass bald eine Hyperinflation in Papiermark kommt und deckt sich somit vorausschauend mit US-Anleihen ein:

Das Ergebnis ist leider enttäuschend: Die Beimischung hat keinerlei positiven Effekt und das beste Ergebnis wird mit 100% Aktien erzielt. Das Minimum stammt in allen Fällen wieder aus der Historie, die in der Hyperinflation startet. Ursache dürften hier wiederum die oben diskutierten Wechselkurseffekte sein. Die wirken sich auf beide Asset-Klassen analog aus und verhindern damit die gegenseitige Kompensation von Kursextremen, die sonst helfen, die Volatilität zu senken.

3. Fall: Deutscher Investor mit einem gemischten DE/US Portfolio

Wer jetzt immer noch nicht komplett den Faden verloren hat, für den gibt es noch ein letztes Szenario: Eine zugegebenermaßen krude Approximation eines “Welt-Portfolios”, die mit unseren verfügbaren Daten möglich ist, könnte ein Aktienportfolio sein mit 60% US-Aktien und 40% DE-Aktien. Die 60% US entsprechen grob deren heutigen Anteil an der Marktkapitalisierung der Welt und für den Rest nehmen wir eben die einzigen davon unabhängigen Daten, die wir haben. Schauen wir uns direkt an, wie eine Optimierung der Asset-Allokation mit einer zusätzlichen Beimischung von deutschen Anleihen aussehen würde:

Mit einer Beimischung von 15% deutschen Anleihen erhalten wir aus diesem Portfolio tatsächlich eine sichere Entnahmerate von 1430€, die nur noch knapp unterhalb des Ergebnisses für reine US-Daten liegt. Wohlgemerkt haben wir hier den kompletten deutschen Datensatz inkl. des 1. Weltkriegs und der Hyperinflation 1923 mit drin, d.h. ein fiktiver deutscher Investor mit genau diesem Portfolio hätte tatsächlich die dort stattgefunden schwarzen Schwäne erfolgreich etwas grau lackiert und wäre relativ unbeschadet auch durch diese Zeiten gekommen.

Vorläufiges Fazit

Wie wir gesehen haben, ist die Auswertung von Entnahmeraten mit langfristigen deutschen Aktien- und Anleihendaten aufgrund der Hyperinflation 1923 ein durchaus subtiles Unterfangen. Wer es sich leicht machen möchte, sollte daher im Simulator entweder bei der Standardauswahl der amerikanischen Aktien und der amerikanischen Währung und Inflationsrate bleiben oder bei Nutzung der deutschen Daten den Zeitraum durch setzen des Felds “Kurshistorie ab” immer mindestens auf 1924 setzen. Darin steckt dann implizit die Annahme, dass uns so etwas wie eine Hyperinflation in Zukunft nicht mehr droht. Die Daten sind dann deutlich einfacher interpretierbar.

Wer sich auch für einen solchen schwarzen Schwan wie 1923 wappnen möchte, findet in diesem Artikel aber vielleicht erste Anregungen, wie man ein Portfolio auch durch solche Phasen etwas besser steuern könnte. Offenbar scheint eine Beimischung von Anleihen sowie eine globale Diversifizierung auch bei solchen Extremereignissen zu helfen. Die exakten Portfolio-Anteile hängen dabei natürlich extrem von den verfügbaren Daten ab und sollten daher nicht überinterpretiert werden. Außerdem könnte der nächste schwarze Schwan (per Definition!) unseren bisherigen Erfahrungshorizont wiederum komplett sprengen und dann sind alle Learnings die wir aus 1923 ziehen, sowieso ganz schnell Schall und Rauch.

Last but not least: Ich habe ja bereits angedeutet, dass es einige Datenartefakte in den Wechselkursen gibt und mein Vertrauen in die deutschen Daten, gerade aus der Extremphase der Hyperinflation 1923, sind auch nicht beliebig hoch. Einfach weil es dort in kurzer Zeit zu so extremen Steigerungen kam, dass vermutlich niemand wirklich verlässliche Daten analog zur heutigen Qualität produzieren konnte. Insofern könnte ich mir vorstellen, dass Einige beim Lesen hier die Stirn runzeln und das böse Wort “Data Mining” im Kopf haben.

Trotzdem hoffe ich, dass dieser Blick über den Tellerrand amerikanischer Daten interessant war. Ich freue mich sehr über offenes Feedback dazu und gebe auch gerne zu, dass ich mich selber hier noch mitten in der Lernkurve sehe.

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