Warum ist die Berücksichtigung der Inflation so wichtig?
Bei allen Überlegungen zur finanziellen Freiheit darf ein Thema nicht außer Acht gelassen werden, nämlich die Inflation. Unsere finanzielle Planung reicht ja typischerweise noch Jahrzente in die Zukunft. Jeder der in den 50ern ernsthaft über FIRE nachdenkt hat im Schnitt noch eine Lebenserwartung von 40 Jahren vor sich und sollte daher unbedingt berücksichtigen, dass bei einer angenommenen mittleren Inflationsrate von 2,5% pro Jahr jeder Euro in 40 Jahren nur noch ca. 36 Cent wert ist. Wie man gerade aktuell sieht, gibt es zwischenzeitlich auch Phasen, in denen die Inflation deutlich erhöht ist. Dies war z.B. auch in den 70er des letzten Jahrhunderts der Fall. Demgegenüber gab es auch Phasen mit deutlicher Deflation, z.B. nach dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise 1929. Jeder der solche Effekte ignoriert läuft daher Gefahr, dass im Alter die Kaufkraft spürbar sinkt und somit die finanzielle Freiheit leidet.
Nominale oder Reale Werte?
Der Simulator rechnet intern immer mit sogenannten nominalen Werten, d.h. bei der zeitlichen Entwicklung des Depots werden die Preisdaten des breiten amerikanischen S&P 500 Index verwendet. In der Standard-Einstellung beinhalten alle dargestellten Depot-Werte im ersten Reiter somit immer auch die Inflation. Wer sich an das Trinity-Beispiel meines ersten Konzept-Artikels erinnert, wird noch die 17.5 M€ finaler Depotwert im Kopf haben, wenn wir (virtuell) im Juni 1932 in den Ruhestand gehen und die Erholungsphase der Börse nach der Weltwirtschaftskrise voll mitnehmen. Berücksichtigt man aber die Inflation für diesen Fall, entsprechen diese 17.5 M€ in heutiger Kaufkraft “nur” noch 7.9 M€. Zukünftige Werte, die in die heutige Kaufkraft umgerechnet werden, bezeichnet man daher als reale Werte und die entsprechend inflationsbereinigten Renditen, die zu diesen Werten geführt haben, als reale Renditen. Die für diese Umrechnung notwendigen Inflationsdaten werden ebenfalls von Robert Shiller aufbereitet und beruhen auf dem amerikanischen Verbraucherpreis-Index CPI.
Falls jemand bereits Erfahrung mit dem Google-Sheet von EarlyRetirementNow.com gemacht hat. Dieses Google-Sheet rechnet konsequent intern mit realen Werten und verwendet daher auch immer solche inflationsbereinigten realen Renditen. Dies macht die Interpretation der Ergebnisse etwas einfacher, da die dargestellten zeitlichen Depot-Entwicklungen und Entnahmeraten dann immer schon inflationsbereinigt sind und somit der heutigen Kaufkraft entsprechen. Ein Problem weniger um das man sich kümmern muss, sollte man meinen. Das ganze Thema birgt allerdings Tücken, wie wir noch sehen werden.
Zeitliche Entwicklung der Ein- und Ausgaben mit und ohne Inflation
Wir werfen dazu zunächst einen Blick auf die Übersicht der Ein- und Ausgaben auf der linken Seite des 1. Reiters im Simulator. Dazu bleiben wir beim einfachen Trinity-Beispiel, das beim Start des Simulators erscheint, also 30 Jahre Zeithorizont, 480.000€ Startwert im Depot und eine monatliche Entnahmerate von 1.600€. Falls die Werte zwischendurch verändert wurden, einfach den Simulator-Tab schließen und neu starten, dann sind alle eigenen Eingaben wieder zurück gesetzt.
In der linken Übersicht erscheinen unterhalb der horizontalen Achse in rot die jährlichen Ausgaben, die sich aus unseren 1.600€ pro Monat ergeben. Falls gewünscht kann man dort auch den standardmäßig gesetzen Schalter “Einnahmen/Ausgaben in Jahreswerten” rausnehmen und sieht direkt die Monatswerte. Oberhalb der Achse in blau erscheinen die für die Ausgaben nötigen Depot-Entnahmen. In unserem einfachen Beispiel müssen wir alle Ausgaben durch Depot-Entnahmen bestreiten, daher sieht das Diagramm ziemlich langweilig symmmetrisch aus, da die Entnahmen dann natürlich immer exakt den Ausgaben entsprechen:
Wer sich jetzt fragt, warum Eingaben und Ausgaben nicht konstant sind sondern eher einer krummen Gitarre entsprechen? Dies liegt daran, dass wir standardmäßig den Schalter “Inflationsausgleich der Ausgaben” gesetzt haben. D.h. wir geben dem Simulator damit vor, dass unsere monatlichen Ausgaben mit der Inflation steigen sollen und somit deren echte Kaufkraft erhalten bleiben soll. Dargestellt werden dann somit die nominalen Ausgaben, die eben mit der Inflation wachsen. Konkret dargestellt ist immer genau die Inflation für das entsprechende historische Szenario, welches auch zur Depot-Entwicklung daneben gehört, in der Regel also der historische Worst-Case der zum minimalen Depot-Endwert führt. Wir merken uns also: Im Simulator werden nicht nur die historischen Renditen sondern immer auch die zugehörigen historischen Inflationsraten in der Berechnung berücksichtigt. Das ist auch nicht nur eine beliebige Design-Entscheidung. Renditen und Inflationsraten sind natürlich auch ökonomisch gesehen niemals unabhängig voneinander. Vielmehr versuchen die Zentralbanken, die Inflation mit ihren Zinsentscheidungen zu beinflussen und nehmen dafür auch Auswirkungen auf die Renditen der Aktienmärkte in Kauf. In der Entwicklungphase dieses Tools habe ich insbesondere am Anfang auch mit konstanten Inflationsraten für die Ausgabenplanung gearbeitet, weil man mit denen wunderbar verschiedene Inflationsszenarien durchspielen kann. Ich vermute fast jeder, der seine FIRE-Planung in Excel macht, dürfte so einen konstanten Inflations-Parameter für seine Ausgaben eingebaut haben. Spätestens aber wenn man darüber nachdenkt, welche Inflationsrate man dann für die Umrechnung der realen in die nominalen Renditen für das Aktienportfolio berücksichtigen soll, läuft man Gefahr inkonsistent zu werden. Nimmt man die Konstante passt die in der Regel nicht mehr zur ökonomischen Situation der jeweiligen realen Renditen, nimmt man die echte historische Inflationsrate passt die nicht mehr zur konstanten Inflation in der Ausgabenplanung. Für mich gab es daher letztlich nur die Schlußfolgerung auf konstante Inflationsraten komplett zu verzichten und immer ganz konsequent ausschließlich die historischen Raten zu verwenden. Daher sieht die Grafik so aus wie sie ist.
Wenn man den Schalter “Inflationsausgleich der Ausgaben” aber rausnimmt, wird das Bild noch langweiliger: Die Ausgaben bleiben dann auch nominal konstant und die dazu notwendigen Depot-Entnahmen ebenfalls (Allerdings sollte man dann nicht erwarten, dass man auch 2050 mit den 1.600€ sein Auto noch einmal vollgetankt bekommt, aber ich schweife ab…):
Die abweichenden Balken in der Jahresicht liegen einfach daran, dass der Simulator jeweils ab dem aktuellen Monat dieses Jahres rechnet und somit das erste und letzte Kalenderjahr der Simulation nicht komplett sind. In der Monatssicht wird es dann aber ganz trivial:
Nominale oder Reale Darstellung der zeitlichen Entwicklung
Nach der Erklärung ob, warum und welche Inflation wir berücksichtigen, sind wir jetzt auch bereit, den nächsten Schalter zu drücken. Der ist mit “Reale Werte ohne Inflationsanstieg” beschriftet und blendet die Effekte der Inflation in allen Diagrammen auf diesem Reiter wieder aus. D.h. nach Setzen dieses Schalters werden überall statt der nominalen Werte die kaufkraftbereinigten realen Werte dargestellt und in der Monatssicht sieht jetzt man Folgendes Bild:
Huch, die realen Ausgaben werden über die Zeit plötzlich kleiner! Wir erinnern uns: Oben haben wir den Schalter “Inflationsausgleich der Ausgaben” rausgenommen und damit in Kauf genommen, dass die reale Kaufkraft unserer Ausgaben mit der Zeit sinkt. Genau dies wird jetzt in dieser Darstellung sichtbar.
Wenn wir auch 2050 genau so tanken möchten, wie heute, dann setzen wir daher jetzt reumütig den Schalter “Inflationsausgleich der Ausgaben” wieder und sehen zum Abschluss dieses Exkurses in der Jahressicht folgendes Bild:
Diese Übersicht sieht zwar exakt gleich aus, wie die zweite Grafik oben, ist inhaltlich aber völlig unterschiedlich zu lesen:
- Oben haben wir die Ausgaben nominal konstant gelassen, d.h. die Inflation komplett ignoriert und uns die Entwicklung nominal darstellen lassen.
- In der letzten Übersicht haben wir die Ausgaben mit der Inflation wachsen lassen, aber die Effekte der Inflation ausgeblendet und die realen Werte darstellen lassen. Es ist wichtig, sich diesen Unterschied bewusst zu machen. Ich würde empfehlen, den Simulator am Anfang komplett in der Grundeinstellung (also “Inflationsausgleich der Ausgaben” ist gesetzt und “Reale Werte ohne Inflationsanstieg” ist nicht gesetzt) zu betreiben, bis man ein gutes Gefühl für diese Effekte bekommen hat.
Best-Case ist nicht gleich Best-Case
Interessanterweise kann die Darstellung der Ergebnisse auch kleinere inhaltliche Auswirkungen haben. Dazu gehen wir wieder auf diese o.g. Grundeinstellung zurück und drücken jetzt den Schalter “Best Case”. Wir sehen wieder die nominale Depot-Entwicklung ausgehend vom historischen Szenario von Juni 1932 mit einem Endergebnis von 17.5 M€.
Jetzt schalten wir wieder auf die reale Darstellung der Entwicklung um. Standardmäßig springt der Simulator zunächst immer zum Worst-Case, weil uns der naturgemäß am meisten interessiert. Wir müssen also wieder den Knopf “Best-Case” drücken. Jetzt sehen wir in der realen Darstellung den maximalen Depot-Endwert von 8.1 M€. Moment, ich hatte doch oben im 2. Absatz etwas von realen 7.9 M€ im Best-Case geschrieben? Was ist hier passiert? Das Best-Case Szenario in dieser Darstellung entspricht jetzt einem virtuellen Start im März 2009. Wir sehen hier also den Fall, dass der nominale Best-Case ein anderer ist als der reale. Dieser virtuelle Start im März 2009 hätte real zu einem besseren Ergebnis geführt als der virtuelle Start im Juni 1932, obwohl dieser nominal besser gelaufen wäre. Nominal wäre das Depot im Szenario Nr. 1658 am Ende “nur” bei 7.1 M€ gelandet im Vergleich zu den 17.5 M€ von Szenario 737. An dieser Stelle lohnen sich aber zwei abschließende Hinweise:
Wer aufmerksam gelesen hat wird sich jetzt vielleicht schon gefragt haben, wie man eine 30 jährige Depotentwicklung mit einem virtuellen Startdatum im März 2009 berechnen kann. Leider reicht meine Glaskugel auch nicht bis in das dafür eigentlich notwendige Jahr 2039. Hier behelfe ich mir daher mit einem programmtechnischen Trick: Nach der letzten verfügbaren Monatsrendite aus den Shiller-Daten starte ich wieder mit der ersten Monatsrendite im Januar 1871 um die 30 Jahre komplett rechnen zu können. Dieser zyklische Ansatz führt selbstverständlich zu einem historischen Bruch und mag die Ergebnisse etwas beinflussen. EarlyRetirementNow.com behilft sich da etwas anders: Er rechnet ab diesem Zeitpunkt mit einer konstanten mittleren Aktienrendite. Auch dieser Ansatz führt notwendigerweise zu einem Bruch, mir erscheint dieser aber potentiell noch radikaler als mein Ansatz. Wer eine bessere Idee zur Lösung dieses grundsätzlichen Problems hat darf mir aber gerne eine Email an info@predict-fi.com schreiben. Ich würde mich freuen.
Zweiter Hinweis zu dem Thema: Der Best-Case ist eigentlich relativ uninteressant, uns geht es ja primär um die Berechnung von sicheren Entnahmeraten, die möglichst auch einen Worst-Case abdecken. Insbesondere die exakte Berechnung der Entnahmeraten im 2. Reiter des Simulators berechnet diese ja zu einem Worst-Case von Null als Depot-Endwert. Dieser Depotwert ist aber sowohl nominal als auch real Null, d.h. der Unterschied zwischen den beiden Darstellungen verschwindet dort, sodass diese Berechnung von diesem Darstellungseffekt nicht beinflusst wird.